Die Rolle der Homoerotik im Arabertum
Man munkelt, die Berliner Professorin Sabine Schmidtke lese neun Sprachen. Das prädestiniert sie, den 1923 im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen publizierten Aufsatz des Berliner Prof. Dr. med. Ferdinand Anton Franz Karsch Die Rolle der Homoerotik im Arabertum herauszugeben; denn Karsch las keine orientalische Sprache, obwohl er auf den ersten Seiten vor Autoren warnt, die Quellen nicht im Original lesen:
Dem Araber ward der Vorzug zuteil, von einem bekannten deutschen Nachdichter fremdländischer Poesien als „edelste Ausbildung der semitischen Rasse“ [das heißt: edler als die Juden a.s.] hingestellt zu werden. Dieses allgemeine Werturteil gründet sich indessen ausschließlich auf Kenntnis von abendländischen Uebersetzungen arabischer Dichtungen. Denn jener deutsche Nachdichter konnte weder aus eigenem Erleben sich sein günstiges Urteil gebildet haben, noch vermochte er die Schätze der arabischen Literatur an der Quelle selbst zu heben, sondern bedurfte zu ihrer Verwertung abendländischer, insonderheit französischer Vermittler. Seine Ansicht erleidet denn auch starke Einschränkungen durch gründliche Kenner der arabischen Sprache und Originalliteratur und von Erforschern des Arabertums aus eigener Anschauung. …
Um das, was ein Araber geschrieben hat, so zu verstehen, wie es gemeint war, müssen seine Werke unbedingt im Urtext gelesen werden … Die Hauptschwierigkeiten des Verständnisses erwachsen hier aus den Umständen, daß gleichgeschriebene arabische Worte oftmals je nach ihrer Betonung verschiedenen Sinn ergeben …
Als gründliche Wissenschaftlerin erörtert Schmidtke in der Einleitung allen Ernstes die Frage, ob Karsch der Ursprachen mächtig gewesen sei. Dem weniger gründlichen zeigt schon ein Blick auf seine falsche Transkription, dass das nicht der Fall war. Den Namen „asch-Ssuri“ (128) kann es genauso wenig geben wie at-Thaalibi (104) {der Artikel wird hier assimiliert: vor und nach dem Bindestrich muss das Gleiche stehen: aṣ-Ṣūrī, aṯ-Ṯaʿālibī}. Nur ein völliger Ignorant erkennt nicht, dass Abu Mansur at-Thaalibi (104) und Saalebi aus Nischapur (148) dergleiche sind. Da Sabine Schmidtke C3-Professorin ist – also keine Ignorantin –, wundert es, dass sie die beiden im Register nicht durch Querverweise verknüpft (167, 187, 190). Dass sie bei all dem nicht die weltweit akzeptierte Umschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft benutzt, sondern eine leserunfreundliche angelsächische, ist eine anglophile Schrulle, die sie mit ihrer Chefin gemein hat. Schmidtke erkennt zwar, dass Karsch mit Abul Faradsch (154) und Abul Feredsch (160) den Gleichen meint; dass aber ein „Abul Feredsch († 966)“ (149) der am 20.11.967 gestorbenen Abu’l Faraǧ ʿAlī al-Iṣfahānī al-Quraišī sein muss, verkennt sie; sie hält ihn für den 1007 verstorbenen Abu’l Faraǧ ʿAbdelwāḥid ibn Naṣr al-Maḫzūmī. (166). (Aschschibli schreibt Karsch ganz zusammen und asch Schaschi ganz auseinander: er folgt jeweils blind der Vorlage, ohne überhaupt zu ahnen, dass „asch“ der Artikel ist. Drei mal hat er Abubakr, sonst Abu Bakr.)
Seine Schilderung ist so objektiv und ... so charakteristisch für den Denk- und Empfindungsweise des Mekkaners, daß es geboten erscheint, sie möglichst im Wortlaut wiederzugeben. (164)
Die Trägerin des 2002 World Prize for the Book of the Year of the Islamic Republic of Iran hingegen lässt ihrem Autor alles duchgehen:
der Araber [verbindet] mit Offenherzigkeit und Fröhlichkeit raffinierte Sinnlichkeit … Ein verstorbener, überaus kenntnisreicher Orientalist konnte nicht umhin, … den Araber … und unter Anerkennung [seiner] hohen Intelligenz und hervorragenden geistigen Befähigung, als „klein und kleinlich“ hinzustellen und einen „großen Zug“ ihm völlig abzusprechen, der beispielsweise den nach seiner Ansicht geistig minder hochstehenden Türken so sympathisch mache. Der Hauptfehler aller arabischen Stämme besteht nach diesem Gutachter in der Vorherrschaft von Gier, Käuflichkeit, Neid und Verräterei bei den meisten Einzelwesen der Nation. …
Das tiefe Interesse des Abendländers an fremden lebenden Völkern scheint nicht auch im Wesen der Araber zu liegen. Er steht ihnen gleichgültig gegenüber oder lehnt sogar alles fremde Wesen ab. … Zu den löblichsten Eigenschaften des Arabers gehört neben seinem religiösen Charakter tragenden Gastfreundschaft sein unbedenklicher Wahrhaftigkeitssinn auch in geschlechtlichen Dingen. Für seine Gastlichkeit ist ihm kein Opfer zu groß und für seine Wahrheitliebe bildet selbst seine starke Sinnlichkeit kein Hindernis. … Der Araber, der nichts vom Komödianten hat, denkt, spricht und handelt in geschlechtlicher Beziehung vollkommen frei. … der den Arabern eigentümliche Hang zu Spitzfindigkeiten …
Der letzte Chalif von Bagdad aus dem Hause Abbas, Mustasim (1242—1258), hat, zur Bildung seines Harems nach seinem urnischen Geschmack, schöngewachsene junge Türken zu hohem Preise käuflich erworben, deren Zahl zehntausend erreicht haben soll. …Einem leidenschaftlichen Urning waren Kaufleute nebst ihrem ganzen männlichem Personal zu Willen, um sicher ihre Ware los zu werden …
Vermöge seiner geistigen Begabung hat der Araber richtunggebenden Einfluß auf die Entwicklung unserer abendländischen Wissenschaft ausgeübt. Im Mittelalter nahmen Araber die Uebersetzung von Werken der alten Griechen, eines Aristoteles, Eukleides, Platon, Ptolemaios in ihre Muttersprache vor … Insbesondere die abendländische Medizin stand vom 12. bis ins 17. Jahrhundert unter der indirekten Einwirkung arabischer Aerzte (Von einem Hofrat und Staatskanzler des Chalifen Mustadi, Vorstand des adhadischen Spitals zu Bagdad, der als Hippokrates und Galenos seiner Zeit bezeichnet wird und 1164 starb, wird späterhin zu berichten sein, da sein Herz, wie er selber sagte, für jeden schönen Jüngling süße Triebe nährte.)
Das stimmt so nicht: die Übersetzer waren Aramäer (meist Christen) und die wichtigsten Ärzte Iraner.
Der Kalif Mustaḍī amtierte von 1170 bis 1180, also nach dem Tode seines angeblichen Hofartzes. Das Spital ist nicht adhadisch (wie im Jahrbuch) und auch nicht abhadisch (wie bei Schmidtke), sondern ʿaḍudisch, es ist das vom Buyidenemir ʿAḍud ad-Daula gegründete Bīmāristān ʿAḍudī. In Karschens Artikel ist so gut wie Alles falsch – nicht nur sexualiter:
der Araber … übte … Länderbeherrschung in drei Erdteilen aus: In Asien unterwarf er 638 Turkestan [kompletter Unsinn a.s.] … Gleichzeitig eroberte er die afrikanische Nordküste bis Ceuta [darüber hinaus a.s.] … der als Anhänger der Sekte der Murdschije die Ewigkeit der Höllenstrafen für die Ungläubigen nicht anerkannte [schlicht falsch: die Murǧiʾa betonte den Glauben gegenüber den Taten; allenfalls könnte man sagen, dass sie die Ewigkeit der Hölle für die Gläubigen bezweifelten a.s.] … der Hofdichter der Umaijaden Abu Nuwas [wer den Erz-Knabendichter, der sogar in Tausendundeine Nacht am Hof der ʿAbbasiden auftaucht, um hundert Jahre zu früh ansetzt, hat von Tuten und Blasen keine Ahnung a.s.]oder belanglos:
Ein Berliner Prälat ... gab seiner durch Erfahrung gewonnenen Ueberzeugung Ausdruck, daß man jedes Volk mit seinen Gesinnungen und Kenntnissen nehmen müsse, „wie es ist“; er gestand, noch von keinen Volke unbelehrt zurückgekommen zu sein, selbst wenn Huronen und Irokesen ihn beschäftigt hätten; die Sache sei nur die, „alles recht zu verstehen“; so erklärt er, es habe jede Nation in einzelnen Stücken gewisse Vorzüge vor den andern voraus – und das gilt eben auch für alle Morgenländer mit Einschluß des großen Kulturvolks der Araber. … Es sei noch auf eine von Jean Humbert 1834 mitgeteilte arabische Lebensregel hingewiesen, die der urnischen Leidenschaftlichkeit eine verständige Schranke setzt; sie lautet: Moderate utendum, amico bono ac suavi.
Karsch geriert sich als der große Durchblicker:
Es kann gewiß für die Araber nicht gerade schmeichelhaft sein, von rabbinischen Schriftstellern als den Teufeln der Aborte gleichend charakterisiert zu werden; oder wenn über sie gesagt wird, von den zehn Qab Unzucht, die da in die Welt gekommen, habe sich Arabien neun Zehntel angeeignet; oder wenn es gar beißt: „Eine Unzucht wie die der Araber, gibt's sonst nicht.“ Es ist gewiß nicht unrecht, das stark übertrieben zu finden und solches geschah auch in einem Aufsatz „Talmudische Nachrichten über Arabien“ von S. Kraus 1916. Aber sein Verfasser hat dabei nicht bedacht, daß die rabbinischen Kritiker offenbar weniger den Hang des Arabers zur Geschlechtsliebe überhaupt, als die besondere ihrer Neigung zum gleichen Geschlecht haben geißeln wollen.
Was Karsch befähigt, zu wissen was die Rabbinen offenbar gemeint haben, ist nur allzu klar: nichts! Er biegt sich die Geschichte nach seinen Arschbedürfnissen zurecht. Ähnlich im Folgenden:
Der Geschmack der arabischen Jünglinge, meint er, sei zur Zeit seiner frühen Eheschließung mit einer Gattin, die nur als Spielzeug zu betrachten erzogen wäre, noch unreif. Wenn dann der junge Ehemann sich weiter entwickle, könne er leicht dahin geraten, eine baldige Lösung der ehelichen Verbindung zu wünschen. Falls diese durch Familienverhältnisse verhindert würde, habe der unausführbare Wunsch zur Folge, daß dem jungen Ehemann entweder bald die Vorzüge des Konkubinats mit einer Sklavin einleuchteten oder daß er, zum Bewußtsein gekommen und in neuer Richtung entwickelt, der Knabenliebe sich hingebe. Vielleicht wollte Moritz Lüttke 1878 einem ähnlichen Gedanken Ausdruck geben mit seinen etwas dunklen Worten: „Von der Päderastie wird versichert, daß sie als ein durchaus erlaubtes Schutzmittel für die Haremsgesetze betrachtet werde.“Was Lüttke meint, liegt auf der Hand: Sex mit Knaben ist eine Alternative zu Sex mit verbotenen Frauen (d.h. allen außer den eignen Ehefrauen und Sklavinnen), weil in der Praxis nicht bestraft. Das hat mit dem Gedanken, dass das Verhältnis zur Ehefrau Würze und Spannung entbehren kann, die man sich sonstwo sucht, nichts zu tun.
Während Schmidtke unvollständig angegebene Namen von Westlern jedes Mal ergänzt („A[lfred] v[on] Kremer“), greift sie bei den Namen von Orientalen nur selten ein. Wer mit den verballhornten Namen gemeint ist, erfährt man allenfalls durch einen Verweis im Register – aber unter welchem Namensteil soll man bei Abul Hasan Ali Ben Abdolasis al-Omeri oder al-Hakim Abul Fadhl Harun Ben Ahmed nachschauen? (Schmidtke verliert kein Wort zur Umschrift und zur Struktur arabisch-islamischer Namen.) Wenn man die Karsche Namensform gefunden hat, erfährt man oft den richtigen Namen: al-Morar al-Adewij Ben Mönkif al-Murār al-ʿAdawiy (und folgt man dem Verweis erfährt man auch noch seinen Beruf und/oder seine Lebensdaten). Wieso aber »Aaschik Hasan Tschelebi« „Pir Muḥammad ʿAšiq Čelebi“ sein soll, verstehe ich nicht, genau so wenig, wie ich verstehe, dass »Abu Chidasch Muhammed Ben Said aus Bachers« richtig „Abu’l Ḥasan ʿAlī ibn Ḥasan al-Bākkarzī“ heißt. »Abu Turab al-Remli aus Rumla« verbessert SS in Abū Turāb al-Ramlī (richtig: ar-Ramlī) aus Ramla, aber sie fügt nicht wie sonst Lebensdaten hinzu – hat sie einfach wahrscheinlichere Namen genommen, ohne etwas über den Herrn zu wissen? – da sie keine Hinweise gibt, wissen wir es nicht.
Wahrscheinlich wählt sie das leserunfreundliche Verfahren, damit verborgen bleibt, dass sie mit „dukfane, sitre, basra, minat, madda, tathah“ nichts anfangen konnte, dass andere Gleichsetzungen weit hergeholt sind. Manche Fehler sind ihr nicht aufgefallen – etwa dass Minhadj Attalibin kein Autor ist, sondern Buchtitel, dass Ibn Matran keineswegs aus Sevilla ist, sondern aus Syrien (er heißt auch der Damaszener). Manche Fehler korrigiert sie halbherzig: Karsch setzt jedes Mal Dhimmi mit Ungläubigem gleich, SS korrigiert (im Register) in „Anhänger der Buchreligionen“ (was immer das sein mag) – dass Dhimmi erstens gerade nicht Ungläubiger heißt, sondern dauerhaft im Land des Islam lebender Schutzbefohlener, dass ein fränkischer Händler, für den Karsch den Begriff benutzt, kein Dhimmi sondern ein Mustaʾmin, ein Ausländer mit zeitlich beschränktem Schutzpass ist, ist der Herausgeberin wohl unbekannt. Aus Karschens »ubne, pl. uban, ubnat widernatürliches Begehren« macht SS „ubna passives homosexuelles Verlangen“, dabei ist es das (krankhafte) Verlangen, anal penetriert zu werden (auch von einem Dildo) und ist bei einer Frau keineswegs homosexuell. Dass „der [den Arschfick] duldende den Namen … Usul“ trägt, ist so falsch, dass auch SS dies weiß, doch dem Leser der von ihr besorgten Ausgabe verschweigt sie es. Wieso verweist sie nicht einfach, von »Usul« auf mafʿūl, wie sie von »fasah und fasach« auf „fāḥisha, koranische Bezeichnung für gleichgeschlechtliches Verhalten“ verweist, obwohl Karsch „Sodomiterei begehen [heißt] fasah und fasach, ein ganz modernes Wort“ schreibt: es handelt sich also um ein Verb und um ein modernes Wort; fāḥiša ist aber Substantiv und alles andere als modern, nämlich koranisch, bedeutet aber nicht „gleichgeschlechtliches Verhalten“ sondern „abscheuliche, satanische Sünde“, so Inzucht (4:22) und Unzucht (17:32), ja sogar Alkoholtrinken und Glücksspiel (5:90, 24:21). fāḥiša ist »fasah« nicht sehr ähnlich, es passt nicht in Karschens Satz und es ist die koranische Bezeichnung für eine Sünde, ein teuflisches Vergehen. Schmidtke erklärt auch nicht, was der Unterschied zwischen „Sodomie treiben“ und „Sodomiterei begehen“ sein soll.
Überhaupt sind ihre Erläuterungen spärlich. Zu „Ein etwas prüder Franzose versuchte bereits 1819 eine Erklärung“ ergänzt sie: [d.i. Jean Humbert]. Warum nicht gleich richtig: Jean Pierre Louis Humbert (1892-1851) Anthologie arabe ou choix de poésie arabes inédites, Paris: Doudey-Dupré 1819. pp. 204-6 ? Oder noch besser: gleich mit einer Übersetzung der Anmerkung, die Karsch abkupfert?
Für den Laien ist diese Ausgabe unbrauchbar, weil Fehler in der Regel unkorrigiert bleiben und Lateinisches, Griechisches, Französisches meist unübersetzt bleibt. Für den ernsthaften Wissenschaftler ist sie unbrauchbar, weil Sperrungen getilgt, Absätze zusammengezogen und Kursivierungen und Bindestriche hinzugefügt sind – jeweils stillschweigend, während Schmidtke Setz- und Kommafehler aufwändig durch Klammen kennzeichnet: A[zh]ar[,]. Tiefsinnig ist die Umwandlung des im 10. Jahrhundert in Byzanz auf Griechisch erfundenen Bischofs Gregentios in Gregenti[u]s – dass diese hervorragende Professorin dem Leser verschweigen, dass der angebliche, jemenitische Bischof, dem Karsch drei Seiten widmet, kein Gesetz erlassen, nie Bischof war, ja nicht einmal gelebt hat, mag gute Gründe haben.
Wenn nun im folgenden versucht wird, die Art und Weise zu verfolgen, in der homoerotisches Triebleben im Arabertum unter der Zusammenwirkung von Nachfrage und Angebot, diesen beiden voneinander untrennbaren Faktoren, im Laufe der Geschichte sich ausgewirkt hat, wie urnische Neigungen in den verschiedenen geschichtlich gegebenen Zuständen und Verhältnissen allüberall bestanden und in allen Einrichtungen sowie in jedem Stande sich geltend gemacht haben, wie endlich die Befriedigung dieses Trieblebens zustande kam, so erscheint das als eine Untersuchung von gewiß allgemein menschlicher Bedeutung und zugleich auch von hohem kulturgeschichtlichen Interesse.Frau Schmidtke ist eine weitherzige Frau, wie sonst könnte sie einem solchem Schönschwätzer die Ehre erweisen, ihn als Wissenschaftler darzustellen. (Dass sie letztes Jahr die Mehrzahl der hier versammelten Artikel schon einmal herausgegeben hat, steht auf einem anderen Blatt. Da sie damals nicht viel dazu gesagt hat, hat sie nicht viel falsch gemacht.) Sein Artikel entfällt m.E. nur Allgemeinplätze, Verdrehungen, Anekdoten und Wortgedrechsel. Das beginnt damit, dass er seine Quellen nicht angibt:
Karsch trägt nicht überprüfbares Material zusammen (und die Herausgeberin vergleicht es weder mit seinen Quellen noch mit der Realität des Orients), aber er macht sich auch keine Gedanken dazu. Schmidtke drückt es so aus: Karsch machte sich „bewußt frei von jeglichen theoretischen Grundannahmen und beschränkte sich auf das Zusammentragen einschlägigen Materials, das er allein schriftlichen Vorlagen abendländischer Provenienz entnahm.“
Das ist aber nicht wahr: Karsch hat dieselbe – falsche – theoretische Grundannahme: alle genitalen Kontakte zwischen Personen des gleichen Geschlechts kommen aufgrund homosexueller Neigung bei wenigstens einem der Beteiligten zustande. Die Vorstellung, dass es sich um ein aggressives Verlangen, ein päderastisches Verlangen, ein pansexuelles Verlangen handeln könnte, kommt den beiden nicht in den Sinn.
Kein Wort der Aufklärung, wo Karsch eine politische Tat in eine erotische ummünzt:
Danach [bemächtigte sich] Dhu Schanatir … des verlassenen Thrones und [mißbrauchte] ihn zu gewaltsamen Handlungen. Junge Sabäer aus den ersten Familien des Landes lockte er in sein Schloß und befriedigte an ihnen auch gegen deren Willen seine homoerotischen Leidenschaften.
In der Quelle, Ibn Isḥāqs Lebensbeschreibung des Propheten, liest sich das so: „He used to summon a young man of the royal family and assault him in a room which he had constructed for this very purpose, so that he could not reign after him. Then he used to go from this upper chamber of his to his guards and soldiers, (who were below) having put a toothpick in his mouth to let them know that he had accomplished his purpose. (Then he would release him and he would appear before the guards and the people utterly disgraced.)”
Laut der Quelle geht es nicht um homoerotische Leidenschaften, sondern um eine Diskreditierung durch halböffentliche Vergewaltigung. Ähnlich wie Herrscher später potentielle Rivalen durch Blendung „unmöglich“ gemacht haben, so hier durch „Entehrung“ – bei vielen Völkern muss der Herrscher heil/integer/unversehrt sein.
Danach hätte etwa um das Jahr 480 unserer Zeitrechnung, als der König von Sabu Hasan Ibn Asad zu Jemen in Südarabien sich auf einem Kriegszuge nach Syrien befand, ein Mann namens Dhu Schanatir, der zwar nicht aus dem Herrscherblut der Tobba, aber doch von den Makawil, den Magnaten von Jemen, stammte, sich des verlassenen Thrones bemächtigt und ihn zu gewaltsamen Handlungen mißbraucht. Junge Sabäer aus den ersten Familien des Landes lockte er in sein Schloß und befriedigte an ihnen auch gegen deren Willen seine homoerotischen Leidenschaften. Ein Mitglied der rechtmäßigen Herrscherfamilie der Himjariten schlich sich bei ihm ein, erstach ihn mit einem Dolch, den er unter seinen Gewändern verborgen getragen, enthauptet ihn und verkündet seinen Racheakt auf öffentlichem Platze. Heer und Volk, vom unrechtmäßigen Gewaltherrscher befreit, wählte aus Dankbarkeit dessen kühnen Mörder zum Könige von Saba. ...
Wer sich auch nur ganz oberflächlich mit der poetischen Literatur der Araber befaßt hat, muß über die endlos scheinende Zahl von Gedichten erstaunt sein, die männlichem Jugendliebreize gewidmet sind; und bei der allgemeinen Neigung der Araber zur lyrischen Poesie und ihrem Talent zur Eigenproduktion geht auch die Zahl ihrer homoerotischen Dichter ins Unübersehbare.
Wer immer geneigt sein mag, dieser Argumentation zuzustimmen, wird doch nicht, umhin können, bei arabischen Dichtern homoerotische Neigung überall als vorliegend dann anzuerkennen, wenn von einem Dichter Jugendreize besungen sind, die ausschließlich dem männlichen Geschlecht zuzukommen pflegen, wie der erste, noch weiche Flaum (Isar) des sprossenden Bartes (Lahjet); das Wohlgefallen am Bartflaum zeigt aber in der arabischen Lyrik außerordentliche Verbreitung und für Gedichte, die diesen besingen, gibt es sogar eine eigene Bezeichnung: Isariat. … Wo ein solcher Beweis fortfällt, bleibt jedem die Wahl in der Auffassung, ob ein Gedicht auf einen schönen Mann, Jüngling oder Knaben als Ausfluß homoerotischen Empfindens zu deuten ist oder ob Freund für Freundin steht.
Sie hat richtig erkannt, dass es ihrem Autor „um den Nachweis [der] Ubiquität gleichgeschlechtlichen Verhaltens“ (8) geht. Sein Artikel befindet sich auf dem theoretischen Niveau der „die 100 größten Schwulen der Weltgeschichte“, die dann aber zu 90% aus Bisexuellen und Päderasten bestehen. Dabei schminkt sie Karsch auch noch zurecht: Begnügte er sich mit dem Nachweis der weiten Verbreitung homosexueller Akte, dann wäre es nur belanglos. Da er aber von „Verlangen“, „Neigung“, „Empfinden“ und „gleichgeschlechtlicher Wesensart unter den Arabern“ schreibt, ist es schlichtweg falsch. In den orientalischen Quellen finden wir nämlich neben Vergewaltigungen, bei denen es um Demütigung oder Stillung eines allgemeinen Fickverlangens geht, das Besingen von Knaben, das aber ebenso wie die Freundschaft, die Karsch als urnisch in Beschlag nimmt, keusch ist. Burton, der den Orient aus eigener Anschauung und aus dem Studium der Originalschriften kennt schrieb: We must not forget that the love of boys has its noble sentimental side.
The Platonists and pupils of the Academy, followed by the Sufis or Moslem Gnostics held such affection, pure as ardent, to be the beau idéal which united in man's soul the creature with the Creator. Professing to regard youths as the most cleanly and beautiful objects in this phenomenal world, they declared that by loving and extolling the chef-d'œuvre, corporeal and intellectual, of the Demiurgus, disinterestedly and without any admixture of carnal sensuality, they are paying the most fervent adoration to the Causa causans. They add that such affection, passing as it does the love of women, is far less selfish than fondness for and admiration of the other sex which, however innocent, always suggest sexuality.
Karschens Projekt
Schmidtke stellt Karschens Projekts „Forschungen über gleichgeschlechtliche Liebe“ in drei Reihen (kulturgeschichtlich, biographisch, naturwissenschaftlich) vor und erhellt seinen Umgang mit den orient-kundlichen Quellen (der einzigen Stärke dieser Ausgabe). Ihr fällt zwar auf, dass das auf viele Bände projektierte Vorhaben nach dem Band 1,1,1 Chinesen, Japaner, Koreer nicht vorankommt, aber die beißende Kritik, die diesem Werk von der Fachwelt zuteil wurde, enthält sie dem Leser vor. Berthold Laufer, der deutsch-amerikanische Sinologe schrieb darüber im American Anthropologist, New Series, Vol. 9, No. 2. (4.1907) pp. 390-397:
With regard to Chinese historical data which are quoted from sources that are now antiquated, and the spelling of proper names, the author would have done well to consult a sinologue; it is impossible to determine, for example, what person the emperor "Qua-Tschesi" is. … Aston's explanation [of atsunahi], "the calamity of there being no sun," or plainly a solar eclipse, is quite appropriate, while that of Karsch [„Männerliebe”] is arbitrary. … I should even go so far as to say that an unbiased mind could not find in this tradition a hint at those relations which our author infers from it. The plain words of the text do not bear out his interpretation.
Um ein umfassenderes Bild vom Autor zu gewinnen, dem Schmidtke schon fünf Aufsätze und drei Reden gewidmet hat, habe ich seinen Aufsatz von 1901 Uranismus oder Päderastie und Tribadie bei den Naturvölkern, den er in der gleichen Homozeitschrift veröffentlicht hat, wie den über Die Rolle der Homoerotik im Arabertum. Es gibt einen großen Unterschied: In dem früheren Artikel gibt Karsch sorgfältig alle Quellen an (auch die, die er "nicht selbst gesehen" hat); er gibt sogar die Seiten an. Er definiert auch verwendete Begriffe und der Aufsatz ist stärker gegliedert als der über die "Semiten", aber der Inhalt ist Kraut und Rüben. Wer das Lob eines derart verwirrten Geistes singt, kann selbst nicht ganz klar im Kopf sein.
Naturvölker sind Vökerstämme, welche sich in so vollständiger Harmonie mit ihrer Umgebung befinden, daß ein Gefühl sorglosen Frohsinnes und ruhiger Zufriedenheit, eine freiwillige Beschränkung auf das Vorhandene oder ohne große Mühe Erreichbare, eine Enge des geistigen Umkreises sie an weiterem Fortschritt verhindern. ... Das Wesentliche der Naturvöler liegt im Stillstand, in der Beharrung; Hauptbedürfnis ist den Naturvölkern die Ruhe, den Kulturvölkern Arbeit.Den Abschnitt Päderastie beginnt Karsch so:
Wenn die Knaben des Wirajuri-Stammes auf Neu-Süd-Wales mannbar werden, so wird ein Fest ihrer Einweihung gefeiert. Die Sittenlehre, welche bei dieser Gelegenheit ihnen beigebracht wird, erscheint auf den ersten Blick im höchsten Grade unsittlich und lässt sich nicht leicht wiedergeben. In pantomimischen Tänzen werden ihnen verschiedene Verletzungen gegen Eigentum und Keuschheit vorgeführt, aber indem die das Fest leitenden Greise und die bestellten Wächter der Knaben diese Darstellung ...
und so geht es weiter -- und NICHTS über Päderastie.
Es gibt keinen Grund seine Lesefrüchte neu herauszugeben.<7p>
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